Libanon: Klöster und Eremiten im Heiligen Tal

Es ist das Jahr 2014, kurz vor Ostern. Die Auswirkungen des Kriegs im Nachbarland Syrien sind im Libanon bereits überall zu spüren. Die fruchtbare Bekaa-Ebene, auf der Mandeln und Wein angebaut werden, ist Sperrgebiet. Dr. Issa, ein libanesischer Arzt, kümmert sich um zwölf deutsche Jugendliche im Sozialen Jahr und nun, über die Feiertage, auch um uns Eltern. Er hat weite Teile des Landes zu No-Go-Gebieten erklärt. Für das Wadi Qhadisha, das Heilige Tal, macht er eine Ausnahme.

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Mehr Symbolik geht kaum: Ein Zedernwald und die schneebedeckten Gipfel des Libanongebirges rahmen ein grünes Tal. Mit zwei Armen umschlingt es den zerklüfteten Fels, der bereits in frühester Zeit verfolgten Christen als Rückzugsort diente. Gläubige verehren das Wadi Quadisha, arabisch für Heiliges Tal, noch heute als Ort der Entbehrung, der stillen Betrachtung und der Glaubensstärke. Es steht auf der Liste der Unesco-Weltkulturerbe.

 

Rund 80 Kilometer nördlich von Beirut zweigen wir bei Batroun vom Küsten-Highway ab, ein wenig vor der eigentlichen Zufahrt ins Tal. Wir wollen nicht zu nah an die nordlibanesische Stadt Tripoli geraten, einen Außenposten des syrischen Konflikts. Das blaue Mittelmeer und den durchgängig bebauten Küstenstreifen, auf dem die Hochäuser wie Vorboten der kargen Gebirgslandschaft stehen, lassen wir jetzt hinter uns. Eine staubige Straße windet sich bergauf, zur Linken fräst sich ein Steinbruch in den Hang. Plötzlich öffnet sich abermals ein Fenster zum Meer. Wir sehen die Häuser von Tripoli, in der es Explosionen gab. Kurz wird uns die Nähe zum Krieg und seinen Ausläufern bewusst. Dann schließt sich das Fenster und wir wenden unsere Gedanken der Gebirgslandschaft vor uns zu.

 

Selbst unser libanesischer Begleiter Issa muss mehrmahls nach dem Weg fragen, bis wir endlich am Ausgangspunkt unserer Wanderung ankommen. Das Bergdorg Hadchit liegt wenige Kilometer entfernt von Bcharré, dem Geburtsort des welbekannten Dicher Khalil Gibran.  Auf 1400 Metern Höhe schickt die Frühlingssonne nur einen schwachen Abglanz ihrer Kraft auf den Dorfplatz. Von dort beginnt der Abstieg ins Tal, vorbei an den Toten der Siedlung, die in kleinen Mausoleen am Wegesrand bestattet sind.

 

Während sie hier ihrer Erlösung harren, schauen die Verstorbenen hinunter in ein Tal, das die Christen im Libanon als heiligen Ort verehren. Schon in den ersten Jahrhunderten nach Christus fanden Verfolgte während der blutigen Konflikte des frühen Christentums hier Unterschlupf. im 7. Jahrhundert flohen Mönche aus dem syrischen Kloster Beth Maron in das Tal. Sie werden als die Gründer der maronitischen Konfession betrachtet, der heute die meisten Christen im Libanon angehören. Die Einsiedler bauten einfache, aber mit schönen Wandmalereien verzierte Kirchen, legten Terrassen für Obst- und Gemüsebau an und suchten in der Abgeschlossenheit des Tals nach Gott. Heute ist nur noch eines der Klöster bewohnt.

 

Im Schatten der Felswand wird der Wind schneidend und die Unwirtlichkeit des Klosters Deir el Salib mit Händen greifbar. Unbehauene Steine markieren die Außenmauern der Kirche. Geschlafen haben die Bewohner wohl in Höhlen. Umso überraschter sind wir, als sich zarte, elegante Fresken im Inneren der Kosterruine zeigen. Christus am Kreuz und ein Apostel sind gerade noch in Fragmenten erkennbar. Wie das Kloster, so ist auch die Malerei dem Verfall preisgegeben.

 

Die fehlende Infrastruktur und das unwirtliche Leben in dem abgeschiedenen Tal haben in den vergangenen Jahrzehnten fast alle Einwohner vertrieben. Eine gespenstische Stille liegt über den grünen Terrassen und den leeren Gehöften. Wir besichtigen eine verfallene Mühle, die nach libanesischer Art sowohl Korn mahlen als auch Oliven pressen konnte. Erst als wir den Schotterweg erreichen, der sich auf halber Höhe am Hang entlang zieht, regt sich wieder Leben.

 

Ein kurzer Anstieg trennt uns noch vom Kloster Sankt Qanoubin, wo wir übernachten wollen. Wir beziehen schlichte, aber sauerbere Klosterzellen, unterhalten uns leise auf dem Innenhof. Ein Schild mahnt das Schweigegebot der Ordensschwestern an. Bereits im 4. Jahrhundert soll das Kloster gegründet worden sein. Ab dem 17. Jahrhundert war es Sitz des maronitischen Patriarchen.

 

Noch einmal geht es nun bergauf. Etwa 20 Minuten vom Kloster entfernt lebt der Eremit, den wir besuchen wollen. Wir haben Glück. Bruder Dario Escobar plaudert umringt von drei Damen im Hof seiner kargen, in den Fels geschlagenen Behausung. Ein langer weißer Bart umweht seine Brust, die dunklen Augen erinnern an seine Heimat Kolumbien. Erst nach einem längeren Aufenthalt in den USA durfte sich der Eremit in die Berge zurückziehen. Ausgerechnet auf Partnerschaftsberatung hat er sich in der Einsamkeit spezialisiert, kostenlos natürlich und meist für die Paare in der Umgebung.

 

Es ist schon dunkel, als wir an einem Gasthof am Ende des Tals ankommen, in dem wir die einzigen Gäste sind. Schwerer libanesischer Wein, Spieße mit gegrilltem Fleisch, traditionelles Taboulé und Hummus schmecken nach der langen und ereignisreichen Wanderung doppelt so gut.

Erschienen am 24./25. Mai 2014 in den Westfälischen Nachrichten

Stephanie von Aretin

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