46 Grad und kein Schatten

Das Salz, das Schweigen und die Wüste prägen das Leben der Afar im Osten Afrikas. Doch viele verlassen ihre Heimat.

Von Stephanie von Aretin

Assalsee/Dschibuti. Mohamad wickelt sich ein wassergetränktes Tuch um den Kopf. Ab und zu nimmt er einen kleinen Schluck aus der Wasserflasche und spuckt ihn kurz darauf aus dem geöffneten Autofenster. Es ist Ramadan, Sommer in Dschibuti, glühend heiß, und er ist mit einem Grüppchen Touristen zum Assalsee unterwegs.

 

Der Lac Assal, wie er in Dschibuti heißt, liegt nur etwa 120 Kilometer von der Hauptstadt des Kleinstaats am Horn von Afrika entfernt. Das hier ist eine unwirtlichsten Regionen der Welt: Auf bis zu 155 Meter unter null fällt der Seegrund ab, die Erdkruste ist hier so dünn wie nirgendwo sonst in Afrika. Vulkane kamen noch 1978 zum Ausbruch und die Lufttemperatur erreicht bis zu 50 Grad Celsius. Als reiche das alles nicht aus, um jegliches Leben zu verbannen, ist das Wasser des 54 Quadratkilometer großen Sees durch die hohe Verdunstung so salzig wie kein anderes Gewässer außerhalb der Antarktis. Mit 348 Gramm pro Liter ist der Salzgehalt zehn Mal höher als im Meer, er liegt auch über dem des Toten Meeres.

 

Mohamad biegt von der Transitroute ab, rechts schimmert mattblau das Rote Meer, der Schotter und die kahlen Hügel davor sind erst rötlich, dann mischt sich schwarzes Vulkangestein darunter. Die Bäume tragen in der Dürre des Sommers kein Laub, zwischen den Felsen bilden sich kleine Seen aus dem hellen Wüstensand, den der Wind hierher getragen hat.

 

Wir sind nun mitten drin im Land der Afar, der Nomadenstämme, die zwischen Eritrea, Äthiopien und Dschibuti wandern. Stolze und schöne Männer und Frauen sind das, hohe Gestalten mit den feinen Gesichtszügen der Askese und blendend weißen, gepflegten Zähnen. Noch vor wenigen Jahren lagerten am See fast immer Karawanen, selbst während der heißen Sommermonate.

 

Nachts brachen die Männer mit Eisenstangen das Salz aus der Kruste am Ufer, frühmorgens beluden sie mit den Kristallen die Kamele. Seit Jahrtausenden versorgt das weiße Gold so die Nomaden mit wertvoller Fracht, die sie in Äthiopien gegen Getreide und Mais tauschen.

 

Doch inzwischen muss man Glück haben, um eine Karawane am See anzutreffen. Die einzigartige Kultur der Afar ist von Klimawandel und industriellem Abbau bedroht. Und Studien bestätigen die Realität: Die Dürre treibt viele Männer zum Arbeiten in die Stadt, ihre Frauen bleiben allein und ungeschützt

zurück. Nicht nur Männer, auch Frauen flüchten immer öfter nach Europa.

 

Eine letzte Anhöhe – dann kommt der See in den Blick. Vor einer eindrucksvollen Bergkette aus dunklem Vulkangestein strahlt eine gleißend weiße Fläche, dahinter liegt ein Wasserstreifen in reinstem Türkis. Am Ufer und auf kleinen Inseln erheben sich bizarre Formationen aus Salz und Stein. Während die Sonne im dunstigen Himmel verschwimmt, scheint das Licht direkt aus der Erde zu kommen. Die Landschaft ist reglos.

 

Mohamad steuert sein altersschwaches Gefährt nun von der Straße weg direkt auf das Ufer zu. „46 Grad und kein Schatten“, sagt er. Woher er diese Temperaturangabe hat, ist nicht klar, aber jedenfalls glaubhaft.

 

Wir steigen aus. Leise knirscht unter unseren Schritten das Salz, das sich wie eine riesige starre Gänsehaut um den See zieht. Die Kruste ist rau – die Körner haben sich zu kleinen, etwa fünf Zentimeter großen Klumpen zusammengepresst – und steinhart. Dagegen legt sich das Wasser im See lauwarm und seidenweich um Füße und Waden. Es ist glasklar und selbst im Geschmack angenehm mild.

 

Noch hat die Kosmetikindustrie diesen Ort nicht entdeckt, doch die wohltuende Wirkung der Salzlösung im Assalsee ist schon nach wenigen Augenblicken unverkennbar. Bis das Wasser tief genug wird, um ganz einzutauchen, müssen allerdings einige Hundert Meter überwunden werden. Die

Kristalle des harten Seegrunds schneiden in die nackten Fußsohlen ein, Kopf und Magen beginnen sich in der heißen Luft zu drehen. Das Bad findet ein abruptes Ende.

 

Am Ufer bietet nur ein hüfthoher Unterschlupf dem schwächelnden Kreislauf Erholung, während Mohamad und der Fahrer eines Jeeps im Schatten der Heckklappe ihr Mittagsgebet verrichten. Auf dem Weg zurück in die Stadt macht auch das Auto schlapp. Doch das ungeschriebene Gesetz der Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft unter den Nomaden gilt auch auf der Straße. Drei junge Fahrer eines Wassertransporters lassen großzügig Wasser aus ihrem Reservoir in den überhitzten Motor und über unsere schwitzenden Körper laufen. Sie bleiben hinter uns, bis wir auf der belebten Transitroute ankommen.

 

Es gibt viele Anzeichen, dass die außergewöhnliche Dürre Teil eines Klimawandels ist, der das Leben der Nomaden auf Dauer ändern wird. „Meine Mutter wusste, dass ich zu Hause keine Zukunft habe“, erzählt der Dichter Chehem Watta, der einer Afar-Nomadenfamilie entstammt. „Jeden Morgen brachte sie mich in die Schule. Jeden Nachmittag holte mich mein Vater wieder ab. Er hielt das Ganze für Unfug. Das ging so, bis meine Mutter gewann

 und ich in der Schule blieb.“ Er ging mit 14 Jahren nach Frankreich, studierte, promovierte. Heute ist er Berater des Präsidenten on Dschibuti. In seinen Gedichten freilich besingt er das Salz, das Schweigen und die Menschen der Wüste.

erschienen in den Salzburger Nachrichten, 7. Januar 2017